REISE | Andreas Hülsmann – 45 Jahre unterwegs: Reisezeiten
Seit 45 Jahren ist Andreas Hülsmann auf Motorrädern rund um den Globus unterwegs. In diesem Zeitraum hat sich für Reisende viel verändert – vor allem bei der Ausrüstung. Seit aber 25 Jahren setzt der Motorrad-Abenteurer auf Produkte von Touratech.
Text und Fotos: Andreas Hülsmann
Mit dem Motorrad durch die Welt fahren, das ist bis heute meine Leidenschaft. Es fing schon früh an, gerade war der »Einser« (Führerschein Klasse 1) in meinem Besitz, da spukten schon die Reisepläne in meinem Kopf herum. In meinen Gedanken ging es nicht um Wochen, Monate wollte ich unterwegs sein. An die Konsequenzen, was denn nach einer solchen Tour aus mir wird, habe ich nie gedacht. Der Drang, mit dem Moped hinaus in die Welt zu stürmen, war einfach da. Der »Travel Bug« hatte mich infiziert, und bis heute gibt es kein Mittel dagegen. Dass ich letztendlich diese Kombination aus Reiselust und Motorradfahren zum Beruf machen konnte, war natürlich eine glückliche Fügung.
Doch zunächst sah es nicht nach einem Reiseleben aus. Eine Lehre hatte ich hinter mir, was folgte, waren Fachabitur und Studium. Doch immer wieder brachte dieser Travel Bug Probleme mit sich, wie bei meiner allerersten Tour. Mit einem Freund sollte es nach Schottland gehen und das Ende März. Eine Jahreszeit, die, wie wir zitternd erfahren mussten, für Motorradreisen in diese Region nicht wirklich geeignet ist. Aber das Fernweh war einfach so groß, dass wir die anstehenden Osterferien eigenmächtig um ein paar Tage vorverlegten. Das war 1980, eine Zeit, in der ein überdimensionaler »Elefantenboy« den Tank meiner Suzuki GS 400 beherrschte, die Koffer aus Pappe und Kunstleder bestanden, und das Rack Pack eine schlichte Mülltüte war.
Fast 45 Jahre liegen meine ersten Reiseerfahrungen zurück. Ohne jegliche Kenntnis darüber, was uns erwartet, sind wir losgefahren. Die Ausrüstung nach heutigem Stand ein zusammengewürfeltes Sammelsurium an Dingen, das nicht einmal die Bezeichnung »Basic« verdiente. Mein Schlafsack aus Frottee hatte eine auf tropische Temperaturen ausgelegte Komfortzone. Den frostigen Nächten in Schottland hatte die mit Watte gefütterte Penntüte nichts entgegenzusetzen. In den viereinhalb Jahrzehnten hat sich in jeder Hinsicht viel verändert. Vergaser und Kontaktzündung waren 1980 technischer Standard, ABS oder gar Fahrmodi im Motorradbereich noch unbekannt. Navigiert wurde mit Papier, und beim Fahreranzug hatte man die Wahl zwischen Leder oder Wachs-Cotton. Trotzdem waren diese frühen Reisen Erlebnisse, die ich nicht missen möchte.
Aber die Möglichkeiten, die Motorräder, Zubehör und Fahrerausstattung heute bieten, liegen einfach in einer anderen Dimension, die auch die Hemmschwelle senkt, einfach loszufahren. Seit meiner Australien-Reise Mitte der 1990er Jahre, kam auf fast jeder Reise mindestens eine Neuerung hinzu. Zuerst waren es die wasserdichten Gepäckrollen, bei denen man sich darauf verlassen konnte, dass die Klamotten auch bei Dauerregen trocken bleiben. Dann das Garmin III plus, ein Navi mit winzigem, monochromem Bildschirm. Das Kartenmaterial für dieses Ding war mehr als dürftig, doch die Möglichkeit, einem Pfeil folgend zu einer Koordinate zu navigieren, war damals eine echte Innovation. Und dass Touratech die passende Halterung im Repertoire hatte, machte dieses Garmin zu einem festen Bestandteil auf meinen Touren. Die nächste große Innovation bildete der Siegeszug der digitalen Fotografie. Zudem bekamen Laptops langsam ein handliches Format, und die Kommunikation von unterwegs via Satellit wurde erschwinglich. Konnten wir 2004 auf der Canning Stock Route lediglich kleine Texte von Australien über das All nach Deutschland verschicken, waren es zwei Jahre später auf der ersten »Kurs-Ost- Tour« schon kleine Bilder. Erstmals war auch eine »Echtzeit«-Verfolgung unserer Reise möglich. An Claudias 1150er GS war hierzu ein Satelliten-Tracker von der Größe einer Müslischüssel befestigt, der alle vier Stunden unseren Standort in die Welt schickte.
Mehrere Male zog es mich immer wieder Richtung Osten. Und immer wieder hatte ich auch die Gelegenheit, Neuentwicklungen und Prototypen von Touratech mit auf die Reise zu nehmen. Hierzu zählt der Zusatztank für die BMW F 800 GS. Mehr Sprit an Bord zu haben, kann in den Weiten der mongolischen Steppe oder in den Hochlagen des Pamir nicht schaden. Testreihen on Tour gab es einige, wobei auch altgedientes Zubehör immer wieder auf den Prüfstand musste. So auch auf der Wüstenfahrt durch den Westen Australiens. Fast 40 Kilogramm packten wir in unsere ZEGA Cases (jeweils!) und trieben unsere Motorräder damit über die mörderische Canning Stock Route.
Nach fast 50 Jahren Motorradfahrerei liegen an die eine Million Kilometer hinter mir. An die 500 Reportagen um und über das Reisen habe ich geschrieben, und in meinem Archiv lagern an die 80.000 Dias, während mich mein Bildbearbeitungsprogramm wissen lässt, dass sich auf den unterschiedlichsten Festplatten auch schon fast 150.000 digitale Motive angesammelt haben. Darunter sicher auch jede Menge Aufnahmen, die nicht so sehenswert sind, aber mir fällt es schwer, auch nicht so gelungene Fotos zu löschen, denn an jedem Bild hängt irgendwie eine Erinnerung.
AUSTRALIEN I CANNING STOCK ROUTE: DAS 1.000-DÜNEN-MEER
Der dichte Bewuchs erfordert ein Lager auf dem Track.
Die Canning Stock Route, von Insidern CSR abgekürzt, steht in Australien für das ganz große Abenteuer. Durch drei Wüsten führt der 2.000 Kilometer lange ehemalige Viehtreck, der Anfang des 20. Jahrhunderts angelegt wurde. Die Route, auf der vor 120 Jahren Rinder aus dem Norden Westaustraliens zu den Goldfeldern rundum Kalgoorlie getrieben wurden, ist heute in »down under« der Ritterschlag für jeden Offroader. Mehr als 1.000 Sanddünen gilt es zu bewältigen. Zudem gibt es auf dem Pistenabschnitt von Wiluna im Süden nach Halls Creek im tropischen Norden nur zwei Möglichkeiten, Benzin aufzufüllen. Am Well 23 wartet ein 200-Liter-Benzinfass, das Reisende circa zwei Monate zuvor beim Capricorn Roadhouse bestellen müssen. Dieses wird per Lkw mehr als 600 Kilometer in die Wüste transportiert. Die zweite Tankstelle gibt es in der Aboriginal Community Kunawarritji.
Endlos: Der Blick über die Great Sandy Desert erweitert den Horizont.
Grünzeug: Die Wüsten in Westaustralien sind dicht bewachsen.
Unterwegs waren mein Freund Jörg Becker (†) und ich mit zwei TT39. Der von Touratech auf der Basis einer BMW F 650 GS aufgebaute Einzylinder hatte ein besonderes Merkmal, das für diesen Ausflug in die Einsamkeit unabdingbar war – ein Tankvolumen von 39 Litern und damit eine Reichweite von 700 Kilometern. Dazu verfügte die TT39 noch über ein Gepäcksystem, WP-Fahrwerk und eine Schwinge mit 18-Zoll-Felge. Weiterer Sprit befand sich unter jedem Koffer in einem 12-Liter-Plastikkanister, womit für jeden Single ein Benzinvorrat von 63 Litern zur Verfügung stand. 25 Liter Wasser, der Proviant für zwei Wochen, Werkzeug, Kameras und Klamotten schraubten das Gewicht der TT39 auf circa 340 Kilogramm. Eine wuchtige Masse, die durch den lockeren Sand bewegt werden musste. Fast drei Wochen waren wir auf dem alten Viehtreck unterwegs und haben dabei nicht einmal zwei Dutzend Menschen getroffen. Wer es einmal richtig einsam haben möchte, für den ist die Canning Stock Route ein guter Ort.
Hart: Lake Tobin sorgt für wenige Kilometer festen Untergrunds.
Soft: Das Ausgraben der BMWs im Dünensand gehörte zum Alltag.
Am Ende: Nach zwei Wochen waren rund 1.000 Dünen überwunden.
NORDEUROPA: VOM LEBEN DA DRAUSSEN
Isländisches Idyll, ein Zeltplatz direkt an einem Gletschersee.
Ob Finnland, Schweden, Norwegen oder Island – wie in kaum einer anderen Region in Europa finden sich in Skandinavien großartige Landschaften. Der Norden ist im Laufe der Jahre fast schon zu meinem zweiten Zuhause geworden. Unzählige Male war ich dort oben, in der letzten Wildnis Europas. Die unendlichen Wälder Schwedens, die zahllosen Seen Finnlands oder die schroffen Fjorde Norwegens: Es ist die Einmaligkeit der Natur, die fasziniert. Und da ist auch noch Island. Die Insel aus Feuer und Eis mit ihren Gletschern und Vulkanen legt noch einmal einen drauf. Die Pisten im Hochland sind fordernd, und wer für ein paar Tage durch das karge Innere fahren möchte, muss sich vorbereiten. Es gibt Extreme, mit denen man immer rechnen muss. Wie beispielsweise das Wetter, denn selbst im Sommer schauen immer wieder Sturmtiefs mit Eis und Schnee vorbei.
Wer sich auf den Weg zur Askia macht, sollte gut vorbereitet sein.
Wenn es nicht mehr dunkel wird: Mitternachtssonne in Lappland.
Was ich am Norden so liebe? Es ist die Freiheit, die dort noch zu finden ist. Einfach sein Zelt in der Natur an einem schönen Platz für eine Nacht aufstellen, das Jedermannsrecht macht es möglich – noch. So ist angesichts des seit einigen Jahren herrschenden touristischen Trubels auf Island das Zelten außerhalb von Campingplätzen kaum noch erlaubt. Leider eine notwendige Maßnahme, denn der Strom der Besucher muss gelenkt werden, um die grandiose Natur zu schützen. Mein Geheimtipp: Der Herbst bietet in Lappland ein ganz besonderes Schauspiel. »Ruska« heißt die Jahreszeit, in der die Fjells anfangen »zu brennen«. Es ist der skandinavische »Indian Summer«, wenn die Natur kurz vor dem Winter noch einmal ein Feuerwerk zündet. Die Motorradfahrer, die den »Ruska« erleben wollen, sollten regenfest sein und auch kühlere Temperaturen nicht scheuen.
Schlummert seit 10.000 Jahren: Der Vulkan Snæfell im Osten von Island.
Rote Häuser, blauer Himmel, grüner Wald: Schweden im Bilderbuchformat.
Isländische Rescue-Teams geben Hilfestellung bei kniffligen Flussdurchfahrten.
SÜDAMERIKA: DAS ENDE DER WELT
Der Osorno ist einer der schönsten Vulkane Südamerikas.
In Brasilien wird das Klima langsam tropisch.
Schon die Namen versprachen Abenteuer: Feuerland, Ruta 40, Fitz Roy oder Perito Moreno. All diese Orte hatten einen aufregenden Klang. Fast ein halbes Jahr hatte ich Zeit für das Ende der Welt, nach Feuerland zu fahren und den ewigen Wind Patagoniens zu spüren. Die Voraussetzungen für diese Reise waren nicht optimal. Meine Ténére hatte da schon mehr als 150.000 Kilometer hinter sich und war nicht mehr 100-prozentig zuverlässig. Aber ich hatte keine Wahl, wollte ich mit einem Motorrad durch Südamerika fahren, war mein alter Einzylinder die einzige Möglichkeit. Meine Finanzen liefen im Notprogramm, denn von den beiden Reisen zuvor durch Australien hatte sich mein Konto immer noch nicht vollständig erholt. Da kam das Angebot von Touratech gerade recht. Die erste Generation der ZEGA-Koffer war damals, 1997, noch nicht lange auf dem Markt und das Unternehmen war auf der Suche nach jemanden, der die Alu-Boxen ordentlich beansprucht. Und so begleiteten mich die ZEGA Cases 25.000 Kilometer auf den rauen Pisten am Ende der Welt.
Damals noch eine Piste: Die Strecke zum Fitz Roy Massiv.
Zerfallene Brücke auf dem Weg zum Torres del Paine National Park.
Seit fast 100 Jahren dampft der Patagonien-Express durch die Steppe.
Dass meine XT 600 Ténéré schon einiges an Kilometern hinter sich hatte, konnte sie auf dieser Tour nicht verbergen. Am Ende der Reise war der Single dabei, in zwei Teile zu fallen – kompletter Rahmenbruch, das Hauptrohr war durch. Nach einigen Skandinavien-Runden, dem isländischen Hochland, Australien und Neuseeland war Südamerika die letzte große Tour meiner 600er. Sie ging ins zehnte Jahr und hatte sich den Ruhestand verdient, schließlich standen am Ende dieser Reise knappe 180.000 Kilometer auf dem Tacho.
Selbst im Sommer muss man am Aconcagua noch mit Schnee rechnen.
ZENTRALASIEN / SIBIRIEN / MONGOLEI: OSTERFAHRUNG
Die Brücken auf der Road of Bones sind in einem schlechten Zustand.
Im Osten Sibiriens muss ein trockenes Flussbett als Zeltplatz reichen.
Der Akbaital ist mit 4655 Metern der höchste Pass im Pamir.
Es sind die Hinterhöfe dieser Welt, die mich besonders interessieren, und viele dieser Gegenden finden sich in Sibirien, der Mongolei und Zentralasien. All diese Regionen haben eine Menge von diesen »unaufgeräumten« Landschaften. Die Endlosigkeit Sibiriens, die Weite der mongolischen Steppe, wie auch die Seidenstraße, die sich durch ganz Zentralasien zieht, sind grandios. Dazu faszinierende Städte wie Khiwa, Bukhara oder Samarkant, überwältigend die Höhen des Pamir-Gebirges, dessen höchster Pass 4.655 Meter über dem Meer erreicht. Mehr als 90.000 Kilometer waren meine Frau Claudia und ich jenseits des Urals auf Motorrädern unterwegs, wobei uns eine Reise bis nach Magadan am östlichen Ende der eurasischen Landmasse führte. Unter den vielen Pisten war auch die »Road of Bones«, jene legendäre Strecke, die 2004 Ewan McGregor und Charley Boorman mit ihrem Film »Long way round« bekannt gemacht haben.
Vierbeinige Pferdestärken auf dem Sibirischen Highway.
Dramatische Gewitterstimmung in der Gobi.
Oft stellen die Regionen in Sibirien, der Mongolei und Zentralasien erhebliche Anforderungen an den Menschen und auch an die Technik. Allein die Qualität des Benzins war immer eine Herausforderung für den Motor. Sprit mit 91 Oktan gab es nur selten, 86 Oktan war in den Städten zu bekommen und auf dem Land waren wir froh, dass die Plörre in unseren Tanks überhaupt zündet. Erstaunlich war es, wie gut die Motorräder die »Klingelsuppe« verarbeitet haben. Die BMWs, wie F 650 GS, R 1150 GS oder F 800 GS, mit denen wir Kurs Ost gefahren sind, haben sich über das schlechte Benzin nie beklagt.
Teamwork: Die Road of Bones ist streckenweise ziemlich sumpfig.
WINTER-REISEN: WARM KANN JEDER
Stürmische Anfahrt zum Nordkap.
Wintercamping in der Mongolei.
Wenn es um meine Wintertouren geht, werde ich oft gefragt: »Warm fährst du dorthin, wo es richtig kalt ist?«. »Weil es da nicht regnet!«, lautet meine – nicht ganz ernstgemeinte – Antwort. Die Fortbewegung bei Minusgraden ist eine ganz besondere Art des Motorradfahrens, die aber eine sehr gute Vorbereitung voraussetzt, damit eine derartig frostige Tour auch zu einem schönen und unvergesslichen Erlebnis wird. Für eine Reise bei Minusgraden braucht es umfangreiche Maßnahmen. Mit einem extra dicken Pullover unter der Jacke und einer langen Unterhose ist es nicht getan. Sechs Wintertouren liegen inzwischen hinter mir, vier in Skandinavien, eine davon bis zum Nordkap, und zweimal war ich bei extremer Kälte in der Mongolei unterwegs. Fast immer mit dabei mein Freund Rainer Krippner von Touratech Kassel. In der Mongolei hatten wir es mit Temperaturen von bis zu minus 35 Grad Celsius zu tun. Eine Kälte, die Stulpen, Thermokombi und Spikes zur unentbehrlichen Ausrüstung macht. Heizhandschuhe oder -griffe, wie auch Heizweste und -hose sowie zusätzliche Thermoklamotten erweitern die Komfortzone, wenn man im Tiefkühlbereich unterwegs ist. Bewährt hat sich auf den Reisen das Zwiebelprinzip, angefangen von der körpernahen Funktionswäsche bis zur Thermokombi. Rainer war auf der »Cold Contact« zum Nordkap mit dem Compañero Rambler unterwegs. Auch bei Temperaturen von bis zu minus 15 Grad Celsius hat er mit dieser Kombi nicht gefroren. Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Spikes. In diesem Fall gilt: Je mehr, desto besser. So haben wir für die Tour zum Nordkap pro Reifen etwa 500 Stahlstifte ins Profil geschraubt.
150 Kilometer über den zugefrorenen Khovskol in der Mongolei.
Immer auf der Suche nach dem Nordlicht.
ANDREAS HÜLSMANN
Geb. am 2. Juni 1961 in Heeren Werve (östliches Ruhrgebiet)
Gelernter Beruf: Maschinenbauingenieur
Mit dem Motorrad unterwegs seit 1979, als Journalist tätig seit 1988
Autor für zahlreiche Zeitschriften, Chefredakteur der Zeitschrift Motorrad ABENTEUER von 2006 bis 2009 und von 2014 bis 2022
Aktuelles Motorrad: Touratech-Umbau einer Yamaha Ténéré 700